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Spanien: Ein Überblick über die Gesetzgebung zu Self-ID (10.2022)

In Spanien sind die Pläne zu einer Art „Selbstbestimmungsgesetz“, das dort „ley trans“ genannt wird, bereits weiter als in Deutschland. Wir danken unserer Gastautorin Montserrat Varela für den Einblick in die Situation in Spanien und für ihren vergleichenden Überblick.

Im Gleichschritt mit den Bestrebungen in Deutschland, ein Selbstbestimmungsgesetz einzuführen, ist Spanien gerade dabei, im Herbst 2022 ein ähnliches Gesetz zu verabschieden. Genauso wie hier in Deutschland warnen Feministinnen, Psychologen, Lehrer und Elternvereinigungen vor den Folgen eines Gesetzes, das auch in Spanien keine Rechtsfolgeabschätzung vorsieht.

Dennoch gibt es einige, wesentliche Unterschiede sowohl bezüglich der Gesetzgebung als auch hinsichtlich der Implementierung, des Bekanntheitsgrades und der Akzeptanz dieses Gesetzes im gesamten Land. Es folgt ein Überblick über die Lage in Spanien seit dem Jahr 2007.

Gesetz vom Jahr 2007 –
„Ley para cambiar el sexo registral a personas mayores de edad”

2007 verabschiedete die Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE, Sozialdemokraten) das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes im Personenstandregister für volljährige Personen“.

Dieses Gesetz erlaubt es Menschen ab 18 Jahren, ihren Geschlechtseintrag auf dem Zivilstandamt (Registro Civil) und folglich zum Beispiel auf dem Personalausweis ändern zu lassen.

Das war durch ältere Gesetze zwar auch zuvor schon möglich, aber nur nach einem positiven Gerichtsurteil und nach einer Operation der Genitalien.

Das Gesetz von 2007 kippte diese beiden Voraussetzungen, sah aber noch folgende Anforderungen vor:

  • eine Diagnose über Geschlechtsdysphorie
  • Hormoneinnahme von mindestens zwei Jahren
  • ein medizinisches oder psychologisches Gutachten

Seitdem haben im gesamten Spanien mehr als 6.000 Menschen von diesem Recht Gebrauch gemacht (Quelle: https://efeminista.com/15-anos-ley-identidad-genero/).

Gesetz nur für Volljährige
– spanisches Verfassungsgericht sah aber Verfassungswidrigkeit

Zwei Jahre später urteilte das spanische Verfassungsgericht, dass auch Minderjährige das Recht haben sollten, standesamtlich ihr Geschlecht ändern zu lassen. Dies war aber nur mit zwei Einschränkungen möglich: Dass sie reif genug wären und dass ihre Transsexualität stabil wäre. Das Gericht begründete dies mit dem Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf Privatsphäre, die in der Verfassung verbrieft sind. (Quelle: https://www.iberley.es/temas/cambio-sexo-ley-3-2007-15-marzo-59503).

Weitere Gesetze in den Autonomen Gemeinschaften (Comunidades Autónomas)

Neben diesem Gesetz aus dem Jahr 2007, das nationale Reichweite hat, haben bis zum Jahr 2022 zwölf der 17 Autonomen Gemeinschaften ihre eigenen Gesetze in diesem Bereich verabschiedet (Quelle: https://www.eldiario.es/sociedad/comunidades-leyes-trans-espera-estatal-congelada-nueve-meses_1_8868981.html). Die Gemeinschaften haben aber sehr unterschiedliche Gesetze. Manche haben zwei getrennte Gesetze, eins zum Schutz von Homosexuellen und ein zweites für Transsexuelle. Die Kompetenzen der Autonomen Gemeinschaftensind aber begrenzt. Betroffene können zum Beispiel den Namen auf der Krankenversicherungskarte durch Sprechakt ändern lassen, aber die Änderung im Personenstandregister liegt nicht in der Zuständigkeit der Autonomen Gemeinschaften. Diesbezüglich gilt immer noch das nationale Gesetz von 2007 mit seinen Anforderungen.

Weil diese Gesetze auf regionaler Ebene soweit implementiert sind, ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit und in den Medien viel präsenter als hier in Deutschland. Die konservative Partei PP (Partido Popular), die auf nationaler Ebene in der Opposition ist, hat hier eine unrühmliche Rolle. Auf der Ebene der regionalen Gemeinschaften, wo sie mitunter regiert, hat sie sogar für die Selbstbestimmungsgesetze der Autonomen Gemeinschaften gestimmt oder hat sich enthalten. Seit 2021 aber ist sie gegen das Vorhaben der jetzigen Regierung auf nationaler Ebene.

Auch in den Schulen hat sich das Thema viel früher und stärker durchgesetzt als in Deutschland. Das spiegelt sich in den Zahlen der Betroffenen wider, vor allem die der jüngeren Generationen. Obwohl es keine offizielle Datenerhebung über die Behandlung von Jugendlichen auf staatlicher Eben gibt, gibt es einige Zahlen aus den autonomen Gemeinschaften. Zum Beispiel beträgt die Steigerung von behandelten Jugendlichen in Katalonien 2.200 % seit 2014 (Quelle: https://elpais.com/sociedad/2021-01-09/menores-trans-el-dilema-de-dejar-la-adolescencia-en-suspenso.html), oder 136 % zwischen 2015 und 2021 in Andalusien (Quelle: https://www.elindependientedegranada.es/ciudadania/andalucia-registra-incremento-136-menores-trans-aprobacion-ley-2014).

Diese Gesetze auf regionaler Ebene sehen keine Anforderungen vor, was bedeutet, dass die jeweiligen Gesundheitssysteme den Jugendlichen Pubertätsblocker und Hormone verabreichen. Den medizinischen und psychologischen Fachleuten sind dort den Händen gebunden, denn die meisten Gesetze sehen Protokolle vor, die eine professionelle Diagnose verhindern. Die Selbstdiagnose des Jugendlichen genügt.

Widerstand aus der Zivilgesellschaft

Diese Gesetzeslage und ihre Folgen für Jugendliche haben dazu geführt, dass sich einige Vereinigungen dagegen (und gegen die Ideologie dahinter) aus der Mitte der Zivilgesellschaft formiert haben. Zum Beispiel der Verein Amanda, unter dem sich etwa 300 Familien gesammelt haben und der eine gute Pressearbeit betreibt (Quelle: https://www.amandafamilias.org/). Am 8. Oktober 2022 hat Amanda einen Kongress mit der Ärztekammer in Madrid veranstaltet sowie eine anschließende Demonstration. Sie stehen auch in Kontakt zu den Elternbeiträten in den Schulen im gesamten Land, um gegen die massive Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen im Schulunterricht vorzugehen.

Ein anderes Beispiel ist die neue feministische Partei „Feministas al Congreso“, die sich im Januar 2022 vorstellte. Sie formiert sich aus ehemaligen Mitgliedern aus der sozialdemokratischen Partei (PSOE) und der Partei Unidas Podemos (Koalition aus der ehemaligen Izquierda Unida, ähnlich wie Die Linke, und Podemos). Hauptgrund für die Gründung der Partei ist das Aufgeben der feministischen Agenda der jetzigen spanischen Regierungskoalition, die seit 2020 aus Sozialdemokraten (PSOE) und Unidas Podemos besteht. Die feministische Partei sind u.a. gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz („Ley trans“) oder gegen die Legalisierung der Leihmutterschaft. Ihr Ziel ist es, bei den nächsten Wahlen (2023) auf nationaler Ebene anzutreten (Quelle: https://www.feministasalcongreso.com/).

Quelle: https://efeminista.com/feministas-al-congreso-partido-para-defender-a-mujeres-desde-instituciones/

Ein Selbstbestimmungsgesetz auf staatlicher Ebene:
la „Ley trans“

Das Hauptprojekt der Ministerin Irene Montero (Podemos) ist die sogenannte „Ley trans“ (Ley para la igualdad real y efectiva de las personas trans y para la garantía de los derechos de las personas LGTBI). Montero leitet das sogenannte Ministerium für Gleichheit (Ministerio de Igualdad), das in der Theorie zugunsten von Frauenrechten arbeiten soll.

Ihr „Ley trans“ ist so umstritten, dass es neben der oben genannten Gründung einer neuen Partei eine ernsthafte Krise nicht nur innerhalb der sozialdemokratischen Partei gibt, sondern auch innerhalb der Koalition. Die Vizepräsidentin Carmen Calvo, eine altgediente sozialdemokratische Politikerin und Feministin, war von Anfang an gegen das Vorhaben von Irene Montero. Am Ende musste aber Calvo nachgeben und sie verließ im Juli 2021 die Regierung.

Denn kurz davor hatte das spanische Regierungskabinett, passend zum sogenannten Pride Month, den Entwurf zum ersten Mal genehmigt. Aber es musste noch ein Jahr verstreichen, bevor das Gesetz zum Parlament gelangen konnte. Davor musste die Regierung die Berichte von drei wichtigen Organen des spanischen Staates abwarten: Vom Staatsrat (Consejo de Estado), vom Generalrat des Gerichtswesens (Consejo General del Poder Judicial) und vom Rat des Generalstaatsanwalts (Consejo Fiscal), in dem unter anderem Mitglieder des Justizministeriums sitzen.

Dringlichkeitsverfahren im Parlament – September 2022

Die ersten zwei Organe haben bis zum Sommer 2022 einige Einwände gegen den Entwurf geäußert, zum Beispiel die Tatsache, dass das Justizministerium mit dem Verbot von Konversionstherapien für Minderjährigen nicht einverstanden ist. Das dritte Organ, der Rat des Generalstaatsanwalts, hat bis September 2022 nicht einmal Zeit gehabt, seinen Bericht einzureichen. Das Ministerium von Irene Montero hat dies ignoriert (die Berichte sind nicht bindend) und Ende September 2022 den Entwurf ins Parlament eingereicht.

Da aber nächstes Jahr Neuwahlen sind und das „Ley trans“ das Hauptprojekt der Ministerin Montero ist, hat das Ministerium beim Parlamentspräsidiums das Dringlichkeitsverfahren beantragt und genehmigt bekommen. Das bedeutet, dass nun der Entwurf nur mit der Hälfte der Fristen bearbeitet wird und dass es keine Anhörung von Experten und Verbänden geben wird. Die Abgeordneten der Opposition konnten Anfang Oktober 2022 Änderungsanträge einreichen, welche von den Abgeordneten der Regierung abgelehnt wurden, bevor der Entwurf hinter geschlossenen Türen im Gleichstellungsausschuss debattiert wird. Selbst die kritischen Abgeordneten innerhalb der Sozialdemokraten haben sich Anfang Oktober dem Fraktionszwang gebeugt.

Carmen Calvo, Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses

Aber vielleicht ist nicht alles verloren, denn die oben erwähnte Carmen Calvo, die sich mehrmals in der Presse sehr kritisch zum Gesetzesentwurf geäußert hat (Quelle: https://www.elmundo.es/espana/2022/09/25/632dff05fdddff93718b45ce.html), ist die Vorsitzende dieses Ausschusses. Mitglieder der Partei PSOE haben schon angekündigt, dass „die Debatte nun jetzt beginnt“ (Quelle: https://www.republica.com/espana/psoe-ley-trans-congreso-20221006-20151854608/). Die innerparteiliche Gruppe „Feministas Socialistas“ wird auch weiter gegen das Gesetz kämpfen, und das weiß sowohl die Partei als auch der Präsident Pedro Sánchez.

Wie sieht der Gesetzentwurf im Detail aus?

Hier folgt eine kurze Liste der wichtigsten Punkte, die im Gesetzesentwurf enthalten sind:

  • Jede(r) wird sein/ihr Geschlecht im Personenstandregister durch Sprechakt ändern können. Das nennt sich auf Spanisch „autodeterminación de género“, denn laut Ideologie würden wir Menschen ja ohne Geschlecht auf die Welt kommen. Der Entwurf sieht auch vor, dass die Person, die ihren Geschlechtseintrag wechseln will, diese Forderung innerhalb einer Frist von drei Monaten bestätigen sollen. Ein erneuter Wechsel des Geschlechtseintrages wird aber nur möglich sein, wenn man wieder vor Gericht geht. Wird der amtliche Geschlechtseintrag zu oft gewechselt, wird das als Betrug gewertet („fraude de ley“). Einen solchen Missbrauchsschutz gibt es in bisherigen deutschen Gesetzesentwürfen nicht.

Es entfallen der Arztbericht sowie der Gang vor das Gericht für die erstmalige Änderung des Geschlechtseintrages.

  • Ein wesentlicher Unterschied zum deutschen Entwurf ist das Alter:

Der Wechsel wird ab 16 Jahren ohne Einschränkungen möglich sein; zwischen 14 und 16 benötigen Minderjährige die Zustimmung der Sorgeberechtigten, und zwischen 12 und 14 können die Kinder nur ihren Namen, nicht aber ihren Geschlechtseintrag vor einem Gericht ändern lassen.

  • Es wird einen Bildungsplan in den Schulen sowie Maßnahmen zur Eingliederung von Transmenschen in den Arbeitsmarkt geben. Die Schulen werden auch gezwungen werden, das empfundene „Geschlecht“ des Minderjährigen zu respektieren.
  • Das Gesetz verbietet zudem die „Konversionstherapien“, worunter auch das kritische Hinterfragen und die Suche nach den Ursachen für den Wunsch nach einem Geschlechtswechsel fallen, was praktisch einem Berufsverbot für Psychologen und Psychiater gleichkommt.

Und schließlich wird es wie in Deutschland Bußgelder für diejenigen geben, die es wagen, den Glauben an wechselbare Geschlechter nicht zu teilen. Die dafür vorgesehenen Geldstrafen sind in Spanien aber viel höher:

  • Leichte Ordnungswidrigkeit, etwa einen LGTBI-Menschen beleidigen: Bußgeld zwischen 200 und 2.000 Euro.
  • Schwere Ordungswidrigkeit, etwa Beleidigungen aus dem Internet nicht löschen oder in Arbeitsverträgen diskriminieren: Bußgeld zwischen 2.001 und 10.000 Euro.
  • Sehr schwere Ordungswidrigkeit, etwa Verbreitung von „Konversionstherapien“, aktive Diskriminierung in öffentliche Veranstaltungen, Verweigerund des Zugangs zu EinrichtigungenBußgeld zwischen 10.001 und 150.000 Euro.

Nicht nur der deutsche Gesetzentwurf ist ein „Blasphemiegesetz“, der spanische ist es ebenfalls, aber letzterer mit der Drohung, Existenzen zu vernichten. Die andalusische Psychologin Carola López Moya stand kurz davor, mit fünf Jahren Berufsverbot bestraft zu werden und das höchste Ordnungsgeld zahlen zu müssen (zwischen 60.000 und 120.000 Euro), weil Transaktivisten sie wegen ein paar Tweets auf Twitter angezeigt hatten. Zum Glück wurde ihr Fall eingestellt, denn noch gilt laut Verfassung das Recht auf Meinungsfreiheit (Quelle: https://canarias-semanal.org/art/33106/archivado-el-expediente-sancionador-contra-la-psicologa-carola-lopez-atacada-por-criticar-la-ley-trans-video).

Nun hoffen wir, und wird drücken auch die Daumen (in Spanien kreuzt man die Finger dafür), dass der Entwurf im Gleichheitsausschuss gekippt oder wenigstens stark abgeändert wird.


Zur Autorin:

Montserrat Varela, Übersetzerin für die spanische Sprache und Feministin

Wenn nicht beim Arbeiten, bin ich auf Twitter und LinkedIn zu finden. Oder mit meiner Familie und/oder Freunden, bei einem guten Roman, einer guten Serie oder bei einem Spaziergang und einem Podcast.


Weitere Quellen (spanisch):

Zum Gesetzesentwurf:

Zur Debatte um den Staatsrat (Consejo de Estado):