Unter dem Motto „For Our Sisters“ lud Radfem Berlin am 24.09.2022 Frauen aus dem ganzen Bundesgebiet sowie darüber hinaus nach Berlin zu einer Demonstration für Frauenrechte ein. Wir danken unserer Gastbeiträgerin Saskia dafür, dass sie ihre Erfahrungen hier mit uns teilt.
„For our Sisters“ – „Für unsere Schwestern“
Knapp über einhundert Frauen folgten der Einladung von Radfem Berlin; unter ihnen bekannte Namen wie britische Professorin und Autorin Sheila Jeffreys oder deutsche Autorin Rona Duwe, ebenso Frauen des Alltagslebens jedes Alters und jeder Herkunft. Die Teilnehmerinnen sowie Rednerinnen waren international, intergenerational, interdisziplinär und jeglicher sexuellen Orientierung; gemein war ihnen, dass sie Frauen sind und der Mut, ihre Stimme zu erheben. Bereits vor dem offiziellen Auftakt der Demonstration war die Stimmung so überschwänglich, dass zwischen den Begrüßungen und dem Kennenlernen und Wiedererkennen gelegentlich sanft darauf hingewiesen werden musste, die Singsprüche und das Fahnenschwenken doch bis um Punkt 1 Uhr warten zu lassen. Selten beginnt meiner Erfahrung nach irgendetwas in Berlin pünktlich – in diesem Fall hatten wir aber kaum eine Wahl, so voll war die Redeliste.
Zwischen Wut, Hoffnung und Stärke
Nach der Eröffnung durch die Gastgeberin Radfem Berlin kam Sheila Jeffreys zu Wort, erzählte mit bekanntem Wortwitz von ihrem neuen Buch und ihren alten Erfahrungen mit Gender und mit denen, die es nahezu religiös zelebrieren. Die ihr folgenden Rednerinnen waren wohl weniger bekannt, gleichwohl genauso wortgewandt und leidenschaftlich. Zu breitgefächerten Themen – darunter Gewalt, Femizide, Prostitution, Pornographie, Leihmutterschaft, Abtreibung, Mutterschaft, Sexualität, Körper, Gemeinschaft, Solidarität, Schutzräume, Schönheitsdruck, Gender und das geplante Selbstbestimmungsgesetz – wurden auf Deutsch und Englisch Reden gehalten, Frauen erzählten aus ihren Leben, offenbarten Gewalterfahrungen und teilten unter Beifall Schmerz und Triumph mit uns Zuhörerinnen. Lesben, Mütter, Überlebende und Austeigerinnen teilten ihre Trauer, Wut, aber auch Hoffnung und Stärke mit uns. Auch wurde aus der Geschichte der Frauenbewegung erzählt und zu Solidarität mit den Iranerinnen, die für ihre Grundfreiheit als Frauen kämpfen, aufgerufen.
Zwei Reden im Besonderen rührten mich persönlich zu Tränen: die Erzählungen einer Mutter über die Beziehung zu ihrer weit entfernt lebenden Tochter, und die starke, gefühlsgeladene Rede einer jungen Frau über Missbrauchserfahrungen durch einen transidenten Mann und das Recht, Grenzen zu setzen, die sich nicht verrücken lassen (Video der Rede). Besonders eindrücklich war auch der Beitrag einer Prostitutionsüberlebenden über ihren Einstieg in die Prostitution, ihre Erfahrungen und ihre Erkenntnisse darüber, was Prostitution und Pornographie mit der Gesellschaft und den Menschen machen.
Trotz des anhaltenden Nieselregens war die Stimmung durchgehend schön, selbst die von einer kleinen Gruppe Radfahrenden auf uns geworfenen Eier konnten unsere Laune nicht dämpfen. Von der Gegendemo, die zumindest mir im Vorfeld Sorgen gemacht hatte, bekamen wir nur gelegentlich mit, wie Männerstimmen „Trans rights are human rights“ skandierten; unsere Rednerinnen übertönen konnten sie aber nicht. Auf unserer Seite wurde auf handbemalten Schildern und Bannern das Nordische Modell oder die Abschaffung des § 218 gefordert oder zur Solidarität mit den Frauen im Iran aufgerufen; Flaggen in den Farben der Suffragettenbewegung flatterten über uns im Wind.
Zum Ende nahmen wir uns alle gemeinsam bei den Händen und formten so einen riesigen Kreis, wir lachten gemeinsam und gaben einander die Hoffnung und das Gemeinschaftsgefühl, die so wichtig sind. Auch, als wir nach der Veranstaltung polizeilich um das Räumen des Platzes gebeten wurden, sangen wir gemeinsam. Noch beschwingt und nicht bereit, uns schon zu verabschieden, verlagerten wir unser Zusammensein kurzerhand geschlossen in einen nahegelegenen Biergarten, wo noch stundenlang weitergeredet wurde.
Die Bewegung wächst
Mein Eindruck ist: die Bewegung wächst. Wir werden mehr und mutiger, trotz der Gewalt und den Drohungen, die uns entgegenschlagen. Vor Ort waren wir über einhundert Frauen, Frauen jedes Lebenswegs, jedes Alters, Frauen vieler Länder, Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Doch wir alle sind Frauen, und wir stehen Seite an Seite gegen jegliche Züge des Patriarchats. Von Hass kann dabei, entgegen Meinungen von außen, keine Rede sein.