Demokratie und Kommunikation
In diesem Beitrag wollen wir in bewusst knapper und verständlicher Form die Grundlagen der Demokratie und demokratischer Aushandlungsprozesse darstellen.
Folgende Ausführungen sind maßgeblich inspiriert von einem Vortrag von Patrick Körner am 15.12.2020 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema „Welche Bürger_innen braucht die Demokratie?“. Youtube-Aufzeichnung hier. Geringfügig verändert und verschriftlicht hier. VF.
Status Quo
Im derzeitigen medialen Diskurs über geschlechtsbasierte Rechte sehen wir vier grundlegende Defizite:
- Es wird der Diskurs als solcher abgelehnt und verhindert.
- Es werden Akteurinnen gezielt aus dem Diskurs ausgeschlossen.
- Es wird nicht evidenzbasiert, sondern auf Grundlage von Emotionen von Individuen argumentiert.
- Es wird durch moralisierende Diskursstrategien verhindert, dass Argumente überhaupt auf Validität geprüft werden können bzw. dürfen. Mangelnde Schlüssigkeit/Validität von Argumenten wird nicht anerkannt.
Die Entscheidungsfindung wird derzeit über Diskursgewalt, statt über rationale Argumente und Abwägung von Interessenskonflikten, erzwungen. Dies widerspricht demokratischen Grundprinzipien.
Diese demokratischen Grundprinizipien wollen wir, ebenso wie die Grundlagen rationalen Argumentierens, in diesem Beitrag kurz erläutern.
Was ist Demokratie?
„Demokratie“ (von griechisch demos – Volk und kratein – herrschen) bedeutet wörtlich die „Volksherrschaft“. Es ist ein politisches Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen, Abstimmungen oder dem Einbezug in Diskussionen an der Machtausübung im Staat teilhat. In Deutschland haben wir eine repräsentative, parlamentarische Demokratie.
Vorzüge einer Demokratie
Als Vorzüge einer Demokratie sind folgende zu identifizieren:
- Kontrolle der Regierenden
- Vertretung eigener Interessen und der Interessen Dritter
- Schutz von Minderheiten und marginalisierten Gruppen
- Öffentliche Diskurse: Gesellschaftskritik und Korrektivfunktion
Herausforderung
Innerhalb einer Demokratie müssen gemeinsam für die Mehrheit zufriedenstellende Lösungen für verschiedene Probleme gefunden werden.
Wir benötigen dafür einen Weg, um Engagement und Rationalität miteinander zu verbinden:
„eine positive Lösung der Probleme unter kritizistischen Gesichtspunkten“.
Quelle: Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft. 2., unv. Aufl. Tübingen 1969, S. 173.
Lösungen
So kommt es darauf an, „kritische Gesichtspunkte und konstruktive Ideen zur Lösung der politische Problematik“ (ebd.) zu liefern.
Dabei geht es um zufriedenstellende Lösungen für praktische Probleme. Erschwerend ist dabei die Vermengung von Wert- und Sachproblemen, die idealerweise konsensual gelöst werden. Das kann aber nur mit einer geteilten Lösungsfindungsmethode funktionieren.
Die Lösungen müssen dabei auf Argumenten basieren, die kritisch geprüft werden müssen und dieser Prüfung standhalten können.
„Eines der zentralen Versprechen demokratischer Gesellschaftsordnungen ist die vernünftige & gewaltlose Aushandlung von Konflikten auf Basis rationaler öffentlicher Diskurse: Es sollen nicht Macht & Gewalt darüber entscheiden, welche Entscheidungen getroffen werden, sondern das bessere Argument.“
Quelle: Patrick Körner: „Welche Bürger_innen braucht die Demokratie?“ https://www.youtube.com/watch?v=Td0Q4YX2v3Q&
Dabei muss Übereinkunft darüber herrschen (und im Vorfeld gelehrt werden), dass auch die Bereitschaft zur Anerkennung unbequemer Tatsachen bei allen AkteurInnen gegeben sein muss; „unbequeme Tatsachen“ im Sinne von solchen, die für die eigene „Parteimeinung unbequem sind“.1
Kommunikation
Wie ist das in demokratische Prozesse zu überführen?
1. Interessens-, Ziel- und Methodenkonflite müssen vernünftig und gewaltlos ausgehandelt werden.
2. Der Modus dafür muss der öffentliche Diskurs sein.
3. Statt durch Macht und Gewalt müssen Interessen durch rationale Argumentation durchgesetzt werden.
Für ein vernünftiges Aushandeln muss ein Grundkonsens bzgl. der Kommunikation herrschen. Der Fokus liegt dabei auf dem „Rationalen“ der Argumentation.
Was ist ein schlüssiges Argument?
Vorweg:
Bei der formal-logischen Analyse werden induktive Argumente und deduktive Argumente unterschieden. Folgend werden deduktive Argumente sowie Fehlschlüsse vorgestellt.
Deduktion
Deduktion ist die Schlussfolgerung gegebener Prämissen (also vorausgesetzter Annahmen, deren Wahrheit angenommen wird) auf logisch zwingende Konsequenzen, der Schluss vom „Allgemeinen auf das Besondere“. Von allgemeinen Annahmen können dann konkrete Aussagen abgeleitet werden, um konkrete Sachverhalte zu erklären oder um sie vorherzusagen.
Etwa:
Prämisse 1: Alle Menschen sind sterblich.
Prämisse 2: Kathleen Stock ist ein Mensch.
Konklusion: Kathleen Stock ist sterblich.
Die Konklusion (also das Argument) leitet sich aus den Prämissen ab. Die Prämissen müssen zuvor als wahr anerkannt worden sein.
Die Argumente müssen prüfbar und valide sein, damit sie in die (politische) Lösungsfindung einbezogen werden können.
Fehlschlüsse
Allerdings wird oft unsauber argumentiert, und zwar mit Fehlschlüssen. Eine gut verständliche Auflistung logischer Fehlschlüsse ist hier zu finden. Ein häufiger Fehlschluss ist etwa der Sein-Sollen-Fehlschluss.
Ein denkbarer Fehlschluss wäre etwa:
Prämisse 1: Frauen werden Opfer männlicher Gewalt.
Prämisse 2: Männer werden Opfer männlicher Gewalt.
(Falsche) Konklusion: Männer sind Frauen.
Entscheidungsfindung
Welche Faktoren sind zu berücksichtigen?
Der Entscheidungsfindung sollten wissenschaftliche Standards zugrundeliegen.
Diese sind:
- Hypothesencharakter der Theorien
- (intersubjektive) Nachvollziehbarkeit
- Präzision
- Klarheit
- Wiederholbarkeit der Datenerhebung
Innerhalb einer Demokratie muss ein Grundkonsenz darüber herrschen, dass valide Argumente hinzugezogen werden. Es muss die Bereitschaft existieren, gegebenenfalls unliebsame Argumente als wahr/schlüssig anzuerkennen, auch dann, wenn sie individuellen Positionen zuwiderlaufen.
Wie kann das erreicht werden? Vernünftiges Argumentieren muss erlernt werden. Es ist (oder wäre) Aufgabe der Politik, über politische Bildung die bürgerlichen Subjekte zu vernunftbegabten, mündigen AkteurInnen zu bilden. Hier besteht Nachholbedarf. Es muss stets darauf beharrt werden, dass Argumente (und nicht etwa die Personen, die sie äußern) auf Schlüssigkeit und Validität geprüft werden und, sofern sie dieser Prüfung standhalten, diese als schlüssig erkannten Argumente in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.
Aussicht
Im derzeit ohnehin wissenschaftsfeindlichen Klima müssen demokratische Prozesse und Entscheidungsfindungen kritisch geprüft und transparent vollzogen werden. Die Prüfbarkeit setzt eine Transparenz voraus (die etwa ohne ein Lobbyregister und sonstige Datenquellen schwer zu erreichen ist).
Neben der bereits angeführten politischen Bildung muss sich also darauf besonnen werden, dass allein das bessere Argument, nicht die mächtigere SprecherInnenposition, über die Berücksichtigung einer Forderung bestimmen sollte.
Ein Austausch über Argumente muss respektvoll, rational und vernünftig im öffentlichen Raum mittels öffentlichem Diskurs stattfinden. Dies ist momentan nicht der Fall.
Defizite
Darum wiederholen wir die eingangs benannten vier grundlegenden Defizite im medialen Diskurs über geschlechtsbasierte Rechte:
- Es wird der Diskurs als solcher abgelehnt und verhindert.
- Es werden Akteurinnen gezielt aus dem Diskurs ausgeschlossen.
- Es wird nicht evidenzbasiert, sondern auf Grundlage von Emotionen von Individuen argumentiert.
- Es wird durch moralisierende Diskursstrategien verhindert, dass Argumente überhaupt auf Validität geprüft werden können bzw. dürfen. Mangelnde Schlüssigkeit/Validität von Argumenten wird nicht anerkannt.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Umgang mit der britischen Professorin Kathleen Stock. Sie wurde verleumdet, ihre Positionen willentlich falsch dargestellt, sie wurde aufgrund von Befindlichkeiten Einzelner von akademischen Veranstaltungen ausgeladen, letztlich wurde sie auf ihrem Campus so intensiv und nachhaltig gemobbt, dass ihre persönliche Sicherheit in Gefahr war und sie ihre Professur an der Uni Sussex aufgab (Quellen 1, 2, 3, 4, 5). Ihr Buch „Material Girls“ (2021) oder gar nur einen Aufsatz von ihr scheinen die meisten nicht gelesen zu haben, es wird oft uninformiert und auf emotionaler statt auf rationaler Ebene diskutiert. Der Umgang mit ihr wird von Stimmen aus der deutschen Forschung und Presse oft relativiert, teils sogar goutiert. Sie ist nur ein Beispiel von vielen; es werden stetig mehr.
Die Entscheidungsfindung wird derzeit über Diskursgewalt, statt über rationale Argumente und Abwägung von Interessenskonflikten, erzwungen. Dies widerspricht demokratischen Grundprinzipien.
Wir widersetzen uns diesen undemokratischen Strategien und fordern einen offenen, respektvollen, fairen und vor allem evidenzbasierten Diskurs.
Literatur
Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft. 2., unv. Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr 1969.
Patrick Körner: Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst schaffen muss: Gesellschaftliche Konflikte und politische Bildung. In: https://www.designing-history.world/theorie/demokratie-voraussetzungen/ [Zugriff: 10.10.2021]
Max Weber: Wissenschaft als Beruf. In: Max Weber: Schriften zur Wissenschaftslehre. Hrsg. u. eingel. von Michael Sukale. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1991, S. 237-273.
Weiterführendes:
Demokratie und Bildung: https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/174624/bildung-und-demokratie
Argumentation: https://static.uni-graz.at/fileadmin/Persoenliche_Webseite/poelzler_thomas/PS_Einfuehrung_in_die_Philosophie-_Argumente.pdf
https://www.skeptiker.ch/themen/logische-fehlschluesse/
1Max Weber: Wissenschaft als Beruf. In: Max Weber: Schriften zur Wissenschaftslehre. Hrsg. u. eingel. von Michael Sukale. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1991, S. 237-273, hier: S. 261.
Update 19.01.2021: Die Graphik wurde ersetzt.